Ein Wimmern drang an mein Ohr und gleich darauf, trat ein kleines Mädchen aus den Büschen. Sie war vielleicht gerademal acht Jahre alt. Mit großen, verweinten Augen sah sie mich an. Hatte sie Angst vor mir? Oder weinte sie, weil sie sich verlaufen hatte?
„Ich hab mich verlaufen.“, schniefte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
Ich sah sie nur aus meinen glühend roten Augen an. Der Mond trat durch ein paar Wolken und schien durch das dichte Blätterdach hindurch.
Der Blick des Mädchens wurde noch größer. Anscheinend hatte sie jetzt meine Augenfarbe bemerkt.
„Du hast ja ganz rote Augen!“, rief sie überrascht aus, „Bist du ein Vampir?“
Jetzt wäre es an der Zeit gewesen, sie zu töten. Kein Mensch durfte erfahren, dass Vampire existierten.
Automatisch ging ich ein paar Schritte auf sie zu. Mein Ausdruck war hart. Ich verspürte nicht viel Mitleid mit diesem Wesen.
Das Kind wich ängstlich zurück, stolperte über eine Wurzel und fiel hin. Tränen kullerten die zarten Wangen hinab.
„Nein… ich bin kein Vampir.“, log ich und… nahm sie auf den Arm. Sie war nun mit mir auf Augenhöhe und inspizierte mein Gesicht.
„A-aber du hast so rote Augen.“, widersprach sie.
„Kontaktlinsen.“, meinte ich nur kurz. Das schien sie zu überzeugen.
„Ich bring dich nach Hause. Sag mir einfach wohin.“, fuhr ich fort.
Sie streckte den Finger aus, zog ihn dann wieder zurück und wies in eine andere Richtung. Sie war völlig orientierungslos.
Ich seufzte. „Ich bring dich erstmal aus dem Wald. Dann wirst du den restlichen Weg schon wieder finden.“
Ich lief zielsicher zwischen Bäume und Büsche hindurch. Ich kannte den Weg in und auswendig. Dem Geruch der Stadt konnte ich leider nicht folgen. Der Duft des Mädchens, so verführerisch, lag in meiner Nase und ich musste mich beherrschen, sie nicht sofort zu beißen. Aber warum? Warum tat ich nicht einfach das, was in meiner Natur lag? Warum wehrte ich mich dagegen, ihr einfach meine Zähne in den Hals zu schlagen?
In meinem Kopf drehte sich alles.
„Wie heißt du?“, fragte das Wesen in meinen Armen und riss mich so aus meinen Gedanken.
„Nenn mich einfach Ray.“, antwortete ich.
„Ich heiße Layla.“, erklärte sie, „Glaubst du an Vampire?“
Darauf antwortete ich nicht. Sie stocherte auch nicht weiter nach.
Den ganzen Weg zur Stadt löcherte sie mich mit Fragen. Wo wohnst du? Was sind deine Lieblingstiere? Bist du oft im Wald? Lieblingsfarbe? Lieblingseissorte? Usw.
Auf die Hälfte der Fragen gab ich ihr keine Antwort.
„Da vorn wohne ich.“, sprach sie nach der gefühlt hundertsten Frage, „Sehen wir uns bald wieder?“
Ich setzte sie ab und schüttelte langsam den Kopf.
„Ich glaube nicht, dass wir uns so bald wiedersehen werden.“, erwiderte ich.
Traurig ließ sie den Kopf hängen.
„Schade. Aber ich hoffe es trotzdem.“
Danach drehte sie sich um und rannte den restlichen Weg zu dem kleinen Häuschen. An der Tür winkte sie mir noch einmal. Als diese sich öffnete, trat die Mutter hinaus. Sorge lag in ihrem Blick, als sie ihre Tochter umarmte.
„Wo warst du nur?“, fragte sie.
„Ich hab mich im Wald verlaufen. Aber Ray hat mich nach Hause gebracht.“, erklärte die Kleine und zeigte in meine Richtung. Doch noch bevor sie das getan hatte, war ich in die nächste Gasse verschwunden.